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Nach einer geschlagenen Wahl zum europäischen Parlament mit konstant niedriger Wahlbeteiligung unter 50% der abgegebenen Stimmen stellt sich natürlich die Frage, ob das Ergebnis auch ausreichend legitimiert. Aus diesem Grund müssen wieder einmal Überlegungen in Richtung einer wirksamen Wahlpflicht erlaubt sein.

Es gibt die Schulpflicht in Österreich aus gutem Grund. Es gilt dabei, das lange erkämpfte Recht auf Bildung auch umzusetzen. Eine Bildungspflicht steht dem nicht entgegen, im Gegenteil, sie erhöht die Freiheit insgesamt sogar. Ohne zu wissen, warum Bildung wichtig ist, wird niemand ein Bedürfnis danach entwickeln. Die Freiheit seine Entscheidungen auf der Basis von Wissen zu treffen wird dadurch erst geschaffen. Kann man doch seine Möglichkeiten nur schwer erkennen, wenn einem die Grundlagen dazu fehlen. Ungefähr so ist es auch mit dem Wählen. Manch eine/r setzt sich erst mit etwas auseinander, wenn sie/er es muss und erkennt dann in der Folge, warum es vielleicht wichtig, interessant und gut ist.

Wichtig ist, dass jede und jeder sich am Wahlprozess beteiligen muss. Denn es ist gut, wenn man aus seiner Bequemlichkeit gerissen wird und sich zumindest einen Gedanken darüber machen muss. Daher sollte es durchaus (auch auf den Stimmzetteln) die bewusste Möglichkeit geben, sich seiner Stimme zu enthalten, vielleicht in der Form einer "Liste Stimmenthaltung". Niemand soll gezwungen werden, jemand oder etwas zu wählen, was sie oder er nicht kennt oder mag oder wovon sie oder er nicht überzeugt ist. So ist zumindest klar zu erkennen, wenn das herrschende System ein Legitimationsproblem hat, wenn sich über 50% für eine "weiße Wahl" entscheiden. Doch niemandes Freiheit wird durch eine "Pflicht sich an Wahlen zu beteiligen" eingeschränkt, wenn man die Möglichkeit hat, selbst zu entscheiden, wann und wo man wählt und sogar ob man sich an der Wahlentscheidung beteiligen will, oder nicht.

Eine Enthaltung von der Teilnahme am Wahlprozess an sich, darf und soll es aber nicht geben. Jede/r muss zumindest wissen, dass sie/er Teil eines größeren Ganzen ist und vor allem Teil des Souveräns. Ein Souverän hat nämlich von Geburt an auch Verpflichtungen, denen er nachkommen muss. Eine wesentliche Verpflichtung des Souveräns (also des Volkes) eines demokratischen Systems ist es eben, die Richtung zu bestimmen bzw. auszudrücken, wer in welcher Form das Gemeinwesen steuert oder ob er generell mit der Situation zufrieden oder unzufrieden ist. Ausdruck für Letzteres darf aber nur eine eindeutige Stimmenthaltung sein, die man auch durch eine ungültige Stimme oder das Ankreuzen einer "Stimmenthaltung" ausdrücken kann. Jedenfalls hat der Souverän aber die Pflicht sich darüber Gedanken zu machen. Dazu hat er in der Wahlzelle oder im Wohnzimmer oder am Strand oder wo auch immer er seine Stimmrecht ausübt die Gelegenheit.

Es gibt in der heutigen Zeit, in der es die Möglichkeit von Wahlkarten, der Briefwahl und von fliegenden Wahlkommissionen etc. gibt, nur mehr wenige echte Gründe nicht zur Wahl zu gehen. Natürlich kann man darüber nachdenken, das Wählen noch weiter zu erleichtern und vielleicht auf Personen, die mit Einschränkungen kämpfen müssen, aktiver zuzugehen oder diese zu Unterstützen. Bzw. könnte der Wahlprozess durch eine Verbesserung des Wahlkartensystems oder durch elektronische Mittel einfacher und/oder auch kostengünstiger gestaltet werden. Doch muss (insbesondere bei der elektronischen Wahl) das Wahlgeheimnis ausreichend geschützt bleiben. Bevor das nicht möglich ist, sind die derzeitigen Formen und Möglichkeiten der Wahl aber ausreichend und sollten jeder/m, ob alt oder jung, krank oder gesund, interessiert oder uninteressiert, die Möglichkeit bieten, ihrem bzw. seinem Wahlrecht nachzukommen. Einzige Ausnahmen dürfen nur jene bleiben, die auch für die Einschränkung der Geschäftsfähigkeit von Menschen gelten.

Auch wenn die Wahlpflicht aus unterschiedlichen Gründen immer wieder in die Kritik gerät, überwiegen doch eindeutig ihre Vorteile. Keine Partei kann sich nämlich trotz Wahlpflicht auf Dauer auf ihre Stammwähler_innen verlassen und sich zurücklehnen auch wenn diese sowieso zur Wahl gehen. Das haben die Entwicklungen der Vergangenen Jahre und die Vermehrung der Wechselwähler_innen durchaus bewiesen. Wenn sich Parteien nicht ständig erneuern und das Angebot (auch an ihre Stammwähler_innen) ständig in Frage stellen bzw. auf die Übereinstimmung mit ihren jeweiligen Grundwerten und mit den Anforderungen der Zeit überprüfen, werden auch die treuesten Stammwähler_innen nicht gehalten werden können.

Eine Wahlpflicht würde aber sicher zur Stabilität und Objektivierung des politischen Systems beitragen, indem die äußeren Faktoren, durch die Schwankungen auch oft hervorgerufen werden, minimiert würden. Die Entscheidung würde wieder mehr zu einer echten politischen, inhaltlichen Überlegung und weniger zu einer von Lust und Unlust oder von Bequemlichkeit. Auch die politische Meinungsbildung könnte sich wieder mehr auf inhaltliche Fragen konzentrieren als auf die – oft sehr mühsame, Zeit und kostenintensive – Frage, wie mobilisiere ich meine Anhänger_innen.